Gasthaus Albisgütli – Halali

Eingang des Restaurant Albisgütli in Zürich

Wenn ihr den Titel dieser Rezension gelesen und dabei zuerst an das Country Music Festival oder die SVP-Tagungen gedacht habt, seid ihr in guter Gesellschaft. Ich hatte das Gasthaus Albisgütli lange nicht für seine Cordon bleus im Visier, bis mich ein Tipp eines Besseren belehrte. Ob es eine gute Idee war, diesen blinden Fleck auf meiner kulinarischen Landkarte aufzudecken?

Es ist voraussichtlich der letzte Tag in einer langen Reihe von ungewöhnlich lauen Herbsttagen. Das einzige Zeichen für das Eintreten der goldenen Saison ist der Einzug von Wildbret auf den Speisekarten, abgesehen davon bleibt die Witterung stetig auf sommerliche Temperaturen eingestellt. Beim kurzen Fussmarsch von der Tramhaltestelle an Zürichs grünem westlichem Rand hin zum Restaurant begleitet mich das trockene Kratzen und Rascheln des Laubes, welches vom Wind über die Strassen geweht wird. Die schlossartige Aufmachung des Gasthauses mit seinen Türmchen und Spitzen macht bereits einiges her, so dass ich noch einige Momente stehen bleibe und im Licht der langsam untergehenden Abendsonne den Anblick geniesse.

Die mondäne Aussenfassade war aber bloss ein Vorgeschmack auf die nicht minder prächtige Inneneinrichtung. Beinahe leer, entsprechend ruhig und einladend begrüsst mich die mit Kronleuchtern sowie standhaften Holzelementen geschmückte grosse Halle beim Eintreten. Nach einem charmanten Empfang nehme ich im hinteren Teil des Raumes bei dem zugewiesenen Tisch auf der Sitzbank Platz. Mit etwas Ruhe und einigen weiteren Momenten des Beobachtens fallen mir weitere Details wie die Verzierungen und Wappen an der Decke sowie den hohen Fenstern zu meiner Linken auf. Auch der in der Mitte schwebende schwarze Apparat mit aufgehängten Eventscheinwerfern, welche einzelne Winkel farbig ausleuchten, erweist sich als Blickfang. Dank einem Kaminfeuer in der Ecke riecht die Luft nach der Würze des Herbstes und beim Weiterschnuppern glaubt man fast, auch den Hauch längst vergangener Jahre herausriechen zu können. Zu guter Letzt finden sich meine Sinne wieder bei mir am Tischchen ein, wo dank elegantem Gedeck und weissem Tischtuch beinahe ein fürstliches Gefühl aufkommt.

Ich nehme das Blatt mit den Saisonspezialitäten in die Hand, wo zwar lauter verlockende wilde und zahme Speisen aufgelistet sind aber leider kein Cordon bleu. In der normalen Speisekarte werde ich dann endlich fündig: Das «Herbst-Cordon bleu vom Schweinskotelett» tritt mit einer Füllung aus Wildschweinrohschinken, Bergkäse und Preiselbeeren an. Meine bis dato erfolglose Suche nach einem mundig-fruchtigen Cordon bleu ist in mehreren Rezensionen dokumentiert, deshalb bin ich besonders gespannt, ob die Odyssee heute zum Abschluss kommt. Wer eine grosse Auswahl sucht, kann sich höchstens damit trösten, dass die Füllung des Cordon bleus jeweils mit dem Lauf der Jahreszeiten ausgewechselt wird. Überraschend schnell nach dem Bestellen erweist sich ein unscheinbar wirkendes Schüsselchen, welches vor mir abgestellt wird, als Startschuss zum Abendschmaus. Dieser Gruss aus der Küche besteht aus Lauch im Blätterteig an mit Kräutern versetztem Sauerrahm und mundet ausgezeichnet. Mein Magen ist nun mehr denn je bereit für das erste wilde Cordon bleu der Saison.

Die Wartezeit auf den Hauptgang vergeht dank der interessanten Kulisse rasant, trotzdem jauchzt innerlich alles als der eckige Teller vor meiner Nase abgestellt wird. Schnörkellos wie moderne Kunst hat man darauf eine schwarze Schale mit Pommes Frites, das Cordon bleu samt markantem Knochen und eine klitzekleine Menge an Gemüse zu einem genüsslich duftenden Tableau drapiert. Vor dem Anschneiden der Hauptattraktion gönnen sich meine Finger einen Abstecher zur Beilage, der es in sich hat: Die Kartoffelstifte fallen optisch durch eine matte Hülle auf, die sowohl angenehm dünn als auch angemessen fest ist. In ihrem Aroma dringt punktuell noch mehr als blosses Salz durch. Leider kann ich dieses gewisse Etwas nicht benennen, aber es schmeckt vorzüglich. Wohlgelaunt und neugierig widme ich mich nun dem Cordon bleu zu und koste vom ersten Stück. Ein in dem gehobenen Ambiente des Saales unpassender wohliger Seufzer entfährt meinem vollen Mund, als die Füllung den Gaumen berührt. Das Duett aus Bergkäse und süssen Preiselbeeren offenbart die erhoffte spritzige Dynamik. Dass die erstere Komponente unerwartet mild antrabt, tut dem Genuss keinen Abbruch. Wenn sich dann noch der dunkelviolette Wildschweinschinken dazugesellt, zaubert das Trio reizvolle mollig-herbe Geschmacksnoten aufs Zungenparkett. In diesem lebhaften Kabarett geht die zarte Panade zu Unrecht beinahe unter, obwohl sie ebenfalls einen wichtigen Beitrag leistet. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten und damit sind wir beim Schweinskotelett angelangt: Über weite Stellen vermisse ich Saftigkeit und hinreissenden Geschmack, wie sie mir von anderen Cordon bleus mit Fleisch am Knochen noch lebhaft in Erinnerung sind. Erst am Rand wird das Potenzial eingelöst, was mir leider zu wenig ist, um mit der Füllung oder der Panade mithalten zu können. Deshalb sind es insbesondere diese beiden Elemente, welche meinen Appetit bis zum letzten Bissen beglücken.

Vor dem leeren Teller sitzend gibt mein Bauch eine kurze Wasserstandsmeldung durch: Optimaler Füllstand erreicht, weitere Nahrungsaufnahme nicht nötig. Das ist eine vernünftige Einschätzung, über die ich mich für einmal hinwegsetze. Es ist immerhin Vermicelles-Zeit und somit ist der Verzicht auf einen Nachtisch keine Option. Andere süsse Kreationen wie Crème Brûlée oder lauwarme Waffeln buhlen heftig um meine Gunst aber meine Entscheidung ist in Stein gemeisselt: Wenn es herbstelt, und sei es noch so zaghaft, muss ein Coupe Nesselrode her. Das einzige Zugeständnis ist der Wechsel auf die Mini-Version, da schliessen Gluscht und Vernunft einen tragfähigen Kompromiss. Als ich gerade bestellen möchte, sticht mir bei den Dessertweinen ein Eintrag ins Auge. Eigentlich gehöre ich nicht zu den grossen Weintrinkern aber irgendetwas am «Château Doisy-Védrines 1er Grand Cru Classé» macht mich neugierig. Vielleicht ist es der etwas umständlich auszusprechende Name, den ich dem Kellner gegenüber sicherheitshalber abkürze in der Hoffnung, dass mich dies wie ein besonderer Kenner aussehen lässt. Er weiss auf alle Fälle genau, welchen Wein ich meine, und gratuliert mir mit leuchtenden Augen zur seiner Meinung nach ausgezeichneten Wahl.

Als die Gläser für Coupe und Wein vor mir abgestellt werden, ist mein Gaumen entsprechend neugierig. Zuerst nippe ich vom goldfarbenen Desserttrunk und merke begeistert, dass der Kellner nicht zu viel versprochen hat. Seine komplexe Süsse umgarnt meine Zunge und ich nehme mir vor, öfters eine alkoholische Dessertempfehlung einzuholen. Der Griff zum langen Stiel des Löffels fühlt sich wie das Bereitmachen eines Zauberstabs an, dazu passt die gewohnt magische Darbietung, in die mich der Nesselrode entführt: Unter der Schlagrahmhaube warten die erdigen Aromen des Vermicelles und einen Stock tiefer süsse Meringues und Vanilleglace. Mehr braucht es nicht zum Glück.

Endlich konnte ich meines fruchtigen Cordon-bleu-Glücks habhaft werden, und erst noch in einer solch festlichen Umgebung. Zugegeben, eine herzhafte Geschmacksoffenbarung erwartet euch hier nicht. Stattdessen zelebriert dieses saisonale Cordon bleu des Gasthaus Albisgüetli eher die lieblichen und langsam verblassenden Aspekte des Herbstes und ist somit eine absolute Empfehlung für diejenigen von euch, welche auf der Pirsch nach einem ungewöhnlichen Cordon bleu der leisen Art sind.

Bewertung

Herbst Cordon bleu vom Schweinskotelett
7/10, «Sehr gut»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.albisguetli.ch

Wie wild wünscht ihr euer Cordon bleu? Und als kleine Bonusfrage: Kennt ihr empfehlenswerte Dessertweine? Schreibt es in die Kommentare oder meldet euch per E-Mail bei info@cordonblog.ch. Ihr möchtet keine neuen Beiträge verpassen? Cordonblog ist auch auf Facebook und Instagram, folgt mir und erhaltet Benachrichtigungen für neue Beiträge, zusätzliche Bilder und gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen. Falls dieser Beitrag Appetit auf mehr geweckt hat, findet ihr in der Übersicht noch viele weitere meiner Rezensionen von Cordon bleus aus der ganzen Schweiz.

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