Ristorante Centrale – Krustenspass

Leuchttafel des Ristorante Centrale in Minuso

«Cordon bleu» ist nicht unbedingt der Begriff, welchen man mit der Sonnenstube der Schweiz als Erstes in Verbindung bringt. Überraschenderweise gehört das Tessin jedoch zu den Kantonen mit den vielversprechendsten Restaurants auf meiner Wunschliste. Für die heutige Rezension brachte mich ein Tipp zum Ristorante Centrale in Minusio, wo ich mit einem besonders üppigen Cordon bleu der klassischen Art Bekanntschaft schliessen durfte.

Wenn ein Abendessen mit stattlichem Cordon bleu im Kalender steht, muss man sich passend vorbereiten. In unserem Fall bedeutet dies gemütliches Spazieren im Valle Verzasca, welches sich an diesem herrlichen Herbstnachmittag von seiner mildesten und prächtigsten Seite zeigt. Mit angemessenem Appetit nehmen wir also abends die Abfahrt Richtung Minusio in Angriff, wobei sich die kurvenreiche Strecke für leere Mägen als nicht optimal erweist. Entsprechend zaghaft gestaltet sich unser Eintreffen im Restaurant.

Nur ein paar Schritte nach der Tür wird man von einer Welle aus ansteckender Lebhaftigkeit überschwappt. Ringsum wird geschwatzt, gelacht und geschäkert – selbstverständlich auf Italienisch. Ein grosser Fernseher hängt dominant über dem Tresen im hinteren Teil des Raumes, darauf läuft die Übertragung einer Fussballpartie der italienischen Serie A. Die fast schon ins grelle abdriftende Beleuchtung sowie Stilelemente wie ein segmentiertes Bild und tief hängende Lampen setzen eher moderne als gemütliche Akzente. Schön, dass das äusserst gastfreundliche Personal dies mehr als genug ausgleichen kann.

Die grosse Speisekarte platzt vor lauter Antipasti, Pizza, Pasta und anderen Speisen fast aus den Nähten, glücklicherweise helfen uns auf Deutsch übersetzte Zutatenlisten bei der anfänglichen Orientierung. Trotzdem schwirren am Tisch noch genug Fragen der Marke «Was sind schon wieder Paccheri?» herum. Ich habe es für einmal vergleichsweise einfach, unter «Carne» befindet sich nur genau ein Eintrag, der meinem Beuteschema entspricht: Das «Cordon Bleau Centrale» vom Schwein kommt mit Schinken, Käse und Pommes Frites daher, die einzige zu fällende Entscheidung ist jene zwischen den Grössen 300 oder 700 Gramm. Mein motivierter Magen gibt sich zuversichtlich, dass die grosse Portion schaffbar ist. Mit dieser Einschätzung ist er am Tisch alleine, alle anderen bestellen entweder das kleine Cordon bleu oder gleich eine Pizza. Kein Wunder, da man dank freiem Blick in die Küche ständig den glühenden Holzofen sowie das Teig knetende und belegende Küchenpersonal im Blick hat. Wir einigen uns auf Bruschetta als Vorspeise und schaffen es tatsächlich, alles ohne Stottern oder Versprecher auf Italienisch zu bestellen.

Durch dieses Erfolgserlebnis gestärkt ist es wohl nicht verwunderlich, dass die rasch herbeigebrachten Bruschettas ausgezeichnet munden. Wobei man so ehrlich sein und sagen muss, dass das frisch geröstete Brot, die süssen Tomaten und der herbe Bergkäse natürlich auch ihren Beitrag dazu leisten. Kurz flackert in mir der Wunsch auf, noch eine zusätzliche Runde der leckeren Vorspeise zu bestellen, aber der Gedanke an das hoffentlich bald eintreffende Riesen Cordon bleu lässt mich dann doch innehalten.

Der Moment der Wahrheit kommt auf einem grossen ovalem Teller daher. Das Ungetüm am Tisch umherzeigend fragt der Kellner auf Deutsch lächelnd in die Runde, wer denn das «Mini Cordon bleu» bestellt habe. Selbstbewusst hebe ich die Hand und schiebe den Stuhl etwas zurück, um das servierte Mahl vollständig in Augenschein nehmen zu können: Lang gezogen und mit einer herrlich dunkelbraunen Farbe liegt es dräuend da. Die Panade ähnelt mit ihrer gekräuselten Topologie einer Mondlandschaft, doch bei näherer Betrachtung erinnert mich die Form des Cordon bleus aus unerklärlichen Gründen an einen Hummer. Angenehmerweise ist die Hülle jedoch sehr viel delikater geraten als bei einem echten Schalentier und mein Messer säbelt ohne nennenswerten Widerstand das erste Stück ab. Beim Hineinbeissen kann der Gaumen dann Bekanntschaft mit dem Schweinefleisch schliessen und findet Gefallen an dessen zarter Art. Dies muss fürs Erste einmal genügen, bis sich eine nennenswerte Ausbeute an Käse auf der Gabel finden lässt muss ich mich weiter zur Mitte hin vorarbeiten. Aber dann fügt der weich fliessende Genosse seine abwechslungsreiche Note zur Geschmackskomposition hinzu: Nicht rezent, aber dafür auf hintersinnige Weise fein säuerlich und beinahe süss tänzelt er über meine Zunge hinweg. Nach einer kurzen freudigen Gewöhnungsphase scheint mir sein Charakter erst zu schwachbrünstig. Doch als beim Übertritt in die zweite Hälfte des Cordon bleus eine kleine Pause zum Verschnaufen und Gedanken sammeln angesagt ist, stelle ich mit Überraschung fest, dass das Fehlen von zusätzlicher Würze nicht so tragisch ins Gewicht fällt wie befürchtet. Gänzlich begeistern kann mich der Käse dennoch nicht, insbesondere beim Verhältnis der Füllmenge zur Grösse des Cordon bleus gäbe es aus meiner Sicht noch Verbesserungspotenzial.  Gegen Ende hin lässt ausserdem die Zartheit des Fleisches graduell immer mehr nach, wobei es insgesamt immer noch konstant auf gutem Niveau verbleibt.

Die verschämt am oberen Rand des Tellers sitzenden Pommes Frites müssen lange warten, bevor sie an die Reihe kommen. Sowohl geschmacklich als auch bei der Textur bleiben Kracherqualitäten aus, erwähnenswert ist einzig der einladende Kartoffelgeschmack. Aber ganz ehrlich, wegen der schieren Menge an Cordon bleu hätte ich sowieso nicht mehr genug Musse, um hervorragende Pommes Frites angemessen würdigen zu können. Der letzte Bissen wird noch einmal zum Kraftakt, dann ist der Teller leer und mein Appetit auf Cordon bleu erst einmal gestillt, auch ein Dessert liegt jetzt beim besten Willen nicht mehr drin. Zum Abschluss gelingt uns das Kunststück, auch die Bezahlung auf Italienisch über die Bühne zu bringen, danach stellt der kurvige Heimweg unsere nicht mehr so leeren Bäuche erneut vor eine gehörige Belastungsprobe.

Ein Cordon bleu in Extragrösse ist jedes Mal ein spezielles Erlebnis. Man muss auf alle Fälle genug Ausdauer mitbringen, im Gegenzug erwarte ich geschmacklich ausreichend Abwechslung um bis zum Ende hin motiviert zu bleiben. Das Ristorante Centrale stellt beim Fleisch und der Panade handwerklich gute Grundlagen bereit, der Füllung geht für mich aufgrund zu geringer Menge und Vielfalt dann die Puste aus. Wem das nichts ausmacht, kann ja überlegen ob man auch mit der normalen Grösse glücklich wird – die 700 Gramm würde ich nur äusserst motivierten Naturen ans Herz legen.

Bewertung

Schweins Cordon bleu «Centrale»
6/10, «Gut»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.centraleminusio.ch

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