Restaurant Gifthüttli – Schaf im Wolfspelz

Schön dekorierte Fassade des Restaurant Gifthüttli in Basel

Es gibt mehr als genug gute Gründe für einen Sprung nach Basel: Stolze Museen, berühmte Fasnachtstraditionen oder ein kühlendes Bad im Rhein. Cordon bleus tauchen auf dieser Liste noch nicht auf, ob das Restaurant Gifthüttli diesen Missstand beheben kann?

Die Ankunft in der Schalterhalle des Basler Bahnhofs ist immer ein magischer Moment für mich. Zum einen besticht der Saal dank seinen Dimensionen mit einem erfrischenden Gefühl von Weite, zum anderen werden die Augen unweigerlich zu den enormen Wandbildern mit Motiven von bekannten Schweizer Landschaftsmotiven wie dem Jungfraujoch, Silsersee oder Vierwaldstättersee hingezogen. Diese Gemälde aus den 1920ern mögen mit ihrem verklärenden (man könnte auch sagen kitschigen) Stil altmodisch wirken, für mich tragen sie massgeblich zum Charme des Raumes bei. Den Moment etwas zu lange auskostend, muss ich ordentlich sprinten, um meine Anschlussfahrt nicht zu verpassen.

Das leicht schaukelnde Tram fährt am Barfüsserplatz vorbei durch enge, von hohen Gebäuden gesäumte Strassenschluchten und bringt mich wie gewünscht zum Marktplatz. Verkaufsstände sind zu dieser abendlichen Stunde nicht mehr aufgestellt, dafür begrüsst einen das Rathaus mit seiner prächtigen roten Fassade. Bei der Navigation des letzten Fussmarsches bis zum Restaurant kommt dann doch noch die Kartenfunktion des Mobiltelefons zum Einsatz, das Gewirr aus schmalen Altstadtgassen verwirrt stärker als gedacht.

Nach dem Öffnen der Eingangstür wird man bereits vom unscheinbarsten Gang der Welt erwartet. Aber hinter einer weiteren Tür offenbart sich einem dann die Bierstube in ihrer ganzen Schönheit: Mit dunklen Holzverkleidungen geschmückte Wände, glotzende Fratzen an den Stützbalken, inschriftenverzierte Durchgänge und farbige Lampenschirme mit Brauchtumsmotiven. Man könnte noch einige Zeit einfach staunend im Türrahmen stehen, wenn nicht die zahlreichen anderen Neuankömmlinge von hinten hineindrängen würden. Alle Stühle sind jedoch bereits besetzt oder reserviert (darunter mein eigener), weshalb die meisten wieder unglücklich von dannen ziehen. Derart viele Gäste sorgen natürlich auch für entsprechenden Trubel, deshalb bin ich über meinen Platz etwas abseits der Raummitte umso glücklicher. Als sich die Sinne gerade an die schmucke Gaststube gewöhnt haben, schickt die mir eilig in die Hand gedrückte Speisekarte sie erneut auf einen kuriosen Tauchgang, dieses Mal in die Abgründe der baseldeutschen Ausdrücke. Dank übersetzten Texten in Deutsch, Französisch und Englisch muss niemand gross herumraten, was auf dem Teller daherkommen wird, wenn man «Daigaffe» (Teigwaren) oder «Stierenaug» (Spiegelei) bestellt.

Das Cordon bleu behält seinen noblen Namen aber auch in Basel bei und wird entweder vom Schwein oder Kalb serviert. Für beides sind vorbildlich Lieferanten aus der Region verantwortlich. Etwas ungewöhnlicher ist die Entscheidung, gewisse Varianten nur von jeweils einer bestimmten Fleischsorte verfügbar zu machen. Wer das «Trüffel» gerne mit Schweinefleisch hätte, sollte sein Glück also mit einer Anfrage beim Servicepersonal versuchen. Ansonsten erblickt man viel Bekanntes der deftigen oder pikanten Art in der Auswahl. Beim Umblättern auf die letzte Seite wird doch noch eine Überraschung gezündet: Das klassische Cordon bleu kann in einer flambierten Version bestellt werden, die Portion an 600 Gramm wird direkt am Tisch tranchiert. Das klingt so abenteuerlich, dass es gleich wieder neugierig macht. Für den feurigen Spass müsste man allerdings mindestens zu zweit sein, traurig blicke ich auf den mir gegenüberstehenden Stuhl, wo für einmal keine Begleitung sitzt. Nun ist eine Alternative gefragt. Beim «Thurgauer» glaube ich schon fündig zu werden, die Füllung aus Vorderschinken und Apfelchutney klingt nach einem Volltreffer für meine experimentierfreudig eingestellten Geschmacksnerven. Aber Moment, bei den Zutaten ist ja kein Käse aufgelistet! Die nette Dame vom Service bestätigt meinen Fund, diese Sorte werde tatsächlich ohne Käse serviert. So unkonventionell bin ich heute Abend jedoch nicht unterwegs, weshalb meine Augen eilig ein weiteres Mal die Liste der Schweins Cordon bleus überfliegen und letztendlich beim «Alemannisch» verweilen: Vorderschinken, Camembert und Preiselbeeren decken meine Wünsche so weit ab, obwohl ich üblicherweise kein Liebhaber von prägnantem Weichkäse in meinen Cordon bleus bin. Hoffentlich sorgt die fruchtige Komponente für eine spannenden Dynamik.

Das rekordschnelle Eintreffen des Tellers mit meiner Bestellung sorgt prompt dafür, dass ich mich gehörig am hausgemachten Eistee verschlucke (süss mit einer erdig-warmen Note, erinnert angenehm an den Herbst). Die Küche scheint auf Hochtouren zu arbeiten. Von aussen macht das Stück mit seinen gesprenkelten Brauntönen und schönen Verästelungen einiges her. Durch das fehlende Volumen wirkt es allerdings eher wie ein Schnitzel. Skeptisch schneide ich mir ein Stück ab, das Messer gleitet angenehm geschmeidig durch Fleisch und Panade. Statt gleich einen Bissen zu nehmen, begutachte ich stirnrunzelnd den Anschnitt und setze einen weiteren Schnitt an. Dann noch einen. Erst jetzt kämpft sich ein kleines Rinnsal von Camembert aus der Füllung hervor, für die Grösse des Cordon bleus ist mir das definitiv zu wenig. Hätte man doch am üppig vorhandenen Schinken gespart und stattdessen mehr Käse sowie Preiselbeeren reingepackt, denn die Kombination aus brummigem Weichkäse und spritzigen Früchtchen harmoniert ausgezeichnet. Der fehlende Inhalt fährt auch dem Schweinefleisch in die Parade, bei diesem vermisse ich insbesondere an den Stellen ohne Füllung mehr Saftigkeit. Dafür schnappt sich die Panade mit ihrer filigranen und wohlschmeckenden Art die Krone in dieser Komposition.

Können die Basler Pomfryt dem Cordon bleu in dieser schweren Stunde unter die Arme greifen? Hier fällt der Eindruck ebenfalls bedauerlich zwiespältig aus: Die verwendete Würzmischung trumpft dank beigefügten Kräutern sowohl geschmacklich als auch optisch mit Abwechslung auf, dafür hätte die weiche Textur der goldenen Kartoffelstifte auf dem Weg zur Vollendung noch einige Minuten mehr Wärme vertragen. Da tröstet es wenig, dass sie in grosser Zahl vorhanden sind. Das nun leere Gedeck des Hauptgangs lässt mich mit einem unbefriedigenden Gefühl und eher wenig Lust auf Nachtisch zurück. Der Blick in die Dessertkarte kostet zwar nichts, kann allerdings trotz Apfelküchlein nicht mehr zum Verweilen locken. Statt einer Nascherei bestelle ich die Rechnung und nehme ein früheres Tram. Somit bleibt noch mehr Zeit, um in der Bahnhofshalle herumzuschlendern, bevor mich der Schnellzug wieder heimwärts trägt.

Wie sagte Paracelsus so schön? «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist». In diesem Fall sorgt die fehlende Portion Füllung für Verdruss, mir wurde eher ein passables Schnitzel als ein gutes Cordon bleu serviert. Die schmucke Inneneinrichtung macht einen Besuch jedoch durchaus lohnenswert, vielleicht bestellt ihr statt einem Cordon bleu dann besser eine der anderen Basler Leckereien.

Bewertung

Schweins Cordon bleu «Alemannisch»
5/10, «Durchschnittlich»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://gifthuettli.ch/

Flambierte Cordon bleus sind erst der Anfang: Welche verrückten Zubereitungsarten für die beste Speise der Welt sind euch sonst noch bekannt? Schreibt es in die Kommentare oder meldet euch per E-Mail bei info@cordonblog.ch. Ihr möchtet keine neuen Beiträge verpassen? Cordonblog ist auch auf Facebook und Instagram, folgt mir und erhaltet Benachrichtigungen für neue Beiträge, zusätzliche Bilder und gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen.

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