Stadtkäserei Zürich – Drahtseilakt

Namensschild der Stadtkäserei vor nächtlichem Himmel

Hand aufs Herz, wer von euch weiss, dass es in Zürich direkt neben dem Hauptbahnhof eine Stadtkäserei mit Restaurant gibt? Da es in der Nähe von leckerem Käse bekanntlich auch hervorragende Cordon bleus gibt, habe ich die Gelegenheit genutzt, um neben vielbefahrenen Gleisen entspannt zu speisen. Können die Milchprofis abliefern oder wäre der Zug nach Hause die bessere Wahl gewesen?

Es schüttet und stürmt an diesem Freitagabend, dass einem angst und bange wird. Obwohl es von meinem Ankunftsgleis aus nur ein paar Minuten Laufweg bis zum Lokal sind, verläuft die Route aufgrund eines Navigationsfehlers nicht so geradlinig wie erwünscht. Dementsprechend durchgefroren fühle ich mich beim Aufstossen der Restauranttüre. Ein äusserst freundlicher Empfang des Servicepersonals sowie die unter einer grossen Käseglocke zur Schau gestellten Milchspezialitäten sorgen dafür, dass sich rasch wieder ein wohliges Gefühl einstellt.

Die Stühle und Tische in traditionell-gemütlichem Stil sowie modernere Elemente wie die Küchenecke mit Chromstahl oder der freiliegende Beton an den Wänden sind eine eigenwillige Mischung. Trotz zahlreicher Lampen tendiert die Lichtstimmung ins Schummrige, zusammen mit der dunkelgrünen Holzverkleidung verleiht dies dem Raum einen eleganten, wenn nicht sogar leicht noblen, Anstrich. Die Lokalität würde somit perfekt in einen Agententhriller passen, vor meinem geistigen Auge sitzt bereits James Bond höchstpersönlich an einem Tisch in der Ecke und nippt an seinem Martini.

Für die Auswahl des Cordon bleus braucht man glücklicherweise keine Geheimdienstlizenz, da einfach eine klassische Variante vom Kalb auf der Speisekarte steht. Das gute Stück wird mit Bünderfleisch und Rohmilchkäse aus eigener Produktion gefüllt. Dazu werden Anna-Kartoffeln sowie Broccoletti gereicht. Neugierig auf die mir unbekannten Gemüsebeilagen sowie mit grosser Vorfreude für die Käsefüllung gebe ich meine Bestellung auf und werde freundlich darüber informiert, dass es wegen frischer Zubereitung etwa 15 Minuten dauern wird, bis das Cordon bleu serviert werden kann. Das ist natürlich Musik in meinen Ohren, dem perfekten Genuss scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Vom Fensterplatz aus lasse ich den Blick über den Louis-Favre-Platz schweifen und beobachte, wie sich die Leute eifrig für den Feierabend und das bevorstehende Wochenende bereitmachen. Der georderte Cocktail (wenn schon Geheimagent, dann richtig) feuert ein kleines Aromafeuerwerk aus süssen, bitteren sowie sauren Noten ab und macht meinen dämmrigen Geist im Nu wieder putzmunter.

Bald gesellt sich eine kleine Tasse mit Topinambur-Suppe an meinem Tisch, das Grüsschen aus der Küche soll die Wartezeit auf den Hauptgang verkürzen. Ein Löffel liegt nicht dabei, deshalb setze ich das Gefäss an meine Lippen und trinke direkt aus dem Behälter. Zugegebenermassen ein ungewohntes Gefühl, der hervorragende Geschmack zieht mich dennoch trotzdem in seinen Bann. Weiche, leicht süsse Wurzelgemüsenoten sowie die kräftige Würze der oben aufliegenden Kräuter und rahmiger Schaumkrone wurden in sämiger Konsistenz vereint. Mangels Hilfsbesteck muss ich die letzten Reste mit dem Finger ausputzen – mit der Erkenntnis, dass man gerade genussvoll gegen den Knigge verstösst, schmecken sie doppelt so gut.

Aus dem Augenwinkel sehe ich gerade noch, wie auf dem Küchentresen die letzten Handgriffe an mein Cordon bleu angelegt werden, dann steht der Teller auch bereits vor mir. Eher kompakt als gross sowie mit einem ansehnlichen goldbraunen Teint liegt es bequem auf einem Bett aus Gemüse. Betörender Geruch entströmt dem Päckchen, hochmotiviert greife ich zum Essgerät und lege los. Nach dem ersten Schnitt dauert es nicht lange und der Rohmilchkäse sprudelt eifrig aus der offenen Ecke hinaus. Die Sorge, ob noch genug davon im Cordon bleu drinbleibt, schiebe ich einstweilen zur Seite und schaufle mir einen Probierhappen aus dem Käsesee auf die Gabel. Die gelbe Köstlichkeit wirbelt meinen Gaumen durch ihre lebendige Art kräftig durch. Rezent, geschmeidig und mit einem kräftigen Kribbeln im Abgang, dass mir darob die Augen im Schädel drehen, ist sie ein absoluter Hochgenuss. Ein Jammer, dass die vorhandene Menge bei weitem nicht ausreicht, um jeden Bissen des Cordon bleus angemessen mit Käse anzureichen. Somit wird die zweite Hälfte zu einer staubigen Angelegenheit, denn Panade und Kalbfleisch alleine können den Geschmackskorpus bei weitem nicht stemmen. Erstere ist eher knusprig als würzig (in Kombination mit dem Käse eigentlich eine willkommene Eigenschaft), während Letzteres in Verbindung mit dem Bündnerfleisch durch deutlichen Geschmack glänzt, für mein Empfinden jedoch zu trocken geraten ist.

Der zwiespältige Eindruck setzt sich bei den Gemüsebeilagen fort. Die Anna-Kartoffeln entpuppen sich als Auflauf, ähnlich wie Gratin. Der gehört üblicherweise zu meinen Leibspeisen, von diesem Ergebnis bin ich aber gar nicht angetan. Die dünn geschnittenen Scheiben sind überraschend kühl und eine Spur zu knackig, was bei mir den Eindruck auslöst, dass die Portion nicht ganz durchgekocht wurde. Etwas mehr Gewürz hätte es für mich ebenfalls sein dürfen, um den unscheinbaren Charakter aufzuwerten. Der knackige Baby-Brokkoli sorgt gottlob für Versöhnung, gepaart mit dem beigefügten und ziemlich sicher hausgemachten grünen Pesto verweilen meine Geschmacksknospen dort mit grosser Freude. Vor dem leer gegessenen Teller sitzend, drängt sich die Frage nach dem Nachtisch auf. Dies bringt mich in eine Zwickmühle, denn einerseits lockt die Dessertkarte mit einer Crêpe namens Suzette, andererseits bin ich gerade angenehm satt und nach dem doch eher enttäuschenden Cordon bleu nicht in der Stimmung für einen Nachschlag. Schlussendlich lasse ich es sein, bestelle die Rechnung und mache mich auf dem Weg zu meinem Gleis, während meine Gedanken um die gemischten Eindrücke des Abends kreisen.

Wie von einer Käserei zu erwarten, schlug sich der charaktervolle Rohmilchkäse heldenhaft. Aber ein guter Käse allein macht leider noch kein hervorragendes Cordon bleu, dafür müssen alle Komponenten ihr Scherflein zur Geschmackskomposition beitragen. Falls ihr rezenten Käse über alles liebt, könnte man beide Augen zudrücken und eine Bestellung wagen. Sonst wird man mit etwas anderem aus der gut kuratierten Speisekarte glücklicher.

Bewertung

Kalbs Cordon bleu
5/10, «Durchschnittlich»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.restaurant-stadtkaeserei.ch

Welcher Bestandteil eines Cordon bleus entscheidet für euch über Genuss oder Enttäuschung? Schreibt es in die Kommentare oder meldet euch per E-Mail bei info@cordonblog.ch. Ihr möchtet keine neuen Beiträge verpassen? Cordonblog ist auch auf Facebook und Instagram, folgt mir und erhaltet Benachrichtigungen für neue Beiträge, zusätzliche Bilder und gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen.

2 comments

  1. Hier würde ich sagen das Auge kann einem in die Irre führen.Finde das Klassische Cordonbleu soll man nicht neu erfinden.( meine Meinung)

    1. Hallo Jürgen, jetzt bin ich neugierig: Bezieht sich dein Kommentar auf das Cordon bleu in dieser Rezension? Falls ja, was genau daran ist für dich eine Neuerfindung des klassischen Cordon bleus? 🙂

Leave a comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert