Restaurant Obertor – Liebesgrüsse aus der Surselva

Eingangsschild des Restaurant Obertor in Illanz

Dieses Restaurant wurde von mir als eines der Cordon bleus des Jahres 2023 ausgezeichnet. Weitere Informationen dazu hier.

Durch einen Tipp in meiner Mailbox wurde ich auf das Restaurant Obertor in Ilanz aufmerksam gemacht. Auf dessen Website (An dieser Stelle ein grosses Kompliment für das ansprechende elegante Design) werden Cordon bleu Variationen als «Spezialität des Hauses» angepriesen. Dass man es hier auch mit unkonventionellen Sorten ernst meint wurde mir erst klar, als ich nervös in die Füllung meines bestellten Cordon bleus blickte…

Dicke Wolken krönen die Gipfel auf beiden Seiten der Bahnstrecke Richtung Chur. Nach den Regengüssen des gestrigen Gewitters macht das von Trockenheit gezeichnete Land einen sichtlich entspannteren Eindruck. Auf der Weiterfahrt nach Ilanz wird unser Gespräch immer wieder durch spektakuläre Ansichten der Rheinschlucht unterbrochen. Der «Swiss Grand Canyon» macht seinem Namen alle Ehre, was neben uns auch einige dem River Rafting frönende Schlauchboote zu schätzen wissen. Nach der Ankunft gibt uns der Wegweiser zur Altstadt einen Fingerzeig in die korrekte Richtung. Vorbei an engen Gassen und schmucken Häuschen steht man schlussendlich vor einer unscheinbaren Fassade. Die Anschrift verrät, dass das Ziel erreicht wurde und um etwaige Zweifel auszuräumen informiert ein orangefarbener Ausdruck bei der Eingangstür darüber, dass das Restaurant Obertor von der Gault Miliau Community oftmals als eine der besten Cordon bleu Adressen gerühmt wird.

Im Innern begrüsst einen zuerst der wunderschöne helle Holztäfer des Speisesaals und anschliessend das überaus freundliche Servicepersonal, welches uns zum reservierten Tisch auf der Terrasse führt. Im Schatten eines grossen Baumes und mit herrlichem Blick auf das Panorama der Bergwelt kommen unsere Gedanken zur Ruhe und lassen die Anreise hinter sich. Der Kiesbelag knirscht leise unter den Schuhsohlen, während einem ein mildes aber stetiges Lüftchen beruhigend um den Nacken streicht. Langsam aber sicher schaltet das Gemüt zwei bis drei Gänge runter und versinkt geradezu in dieser behaglichen Atmosphäre einer sommerlichen Wochenendmittagsstunde.

Vor dem vollständigen Übergang in die meditative Phase kommen die Speisekarten an den Tisch. Kurz bangen wir, ob zu dieser Stunde vielleicht gar keine Cordon bleus serviert werden, aber glücklicherweise wird zusammen mit dem Mittagsmenü auch ein separates Blatt mit Variationen unserer Herzensspeise ausgegeben. Und dort hat es so einige Überraschungen dabei: Initial bleibe ich beim «Bündner Bock» hängen (Rohschinken, Frischkäse, Röteli-Zwetschgen, Zimt) aber mein Interesse an der ungewöhnlichen Kombination aus Fruchtigem und exotischem Gewürz zieht gegenüber der Skepsis über die wohl milde Käsefüllung den Kürzeren. Dann drängt mich der Gluscht zum «Grischunes». Dessen Liste an Zutaten gebietet Respekt, gefüllt mit Rohschinken, Steinpilzen, Speck, Knoblauch, Zwiebeln, Bündnerfleisch, Mascarpone und Bergkäse muss die Kreation zum Bersten voll sein. Dies will ich mit eigenen Sinnen erblicken und erschmecken. Bei der Bestellung wird mir jedoch zerknirscht mitgeteilt, dass genau diese Sorte nicht mehr verfügbar ist. Ein Ersatz muss her, und zwar rasch. Eilig huscht der Blick ein weiteres Mal über die Liste, bis ein vorher überlesener Begriff plötzlich prominent ins Sichtfeld rückt: «Stroganoff». Zuerst glaube ich an ein Versehen, dies kann doch nicht im Ernst eine Referenz an das bekannte russische Gericht sein. Doch, kann es sehr wohl, wie die Füllung aus gekochtem Schinken, Peperoni, Paprika, Champignons, Knoblauch, Zwiebeln, Chili, Mascarpone und Parmesan beweist. Die Zeit tickt, ich muss jetzt entscheiden, ob mich meine Wahl aus der Komfortzone hinauskatapultiert oder doch besser bei etwas Konventionellerem aufgehoben wäre. Schlussendlich siegt die Neugier und die Variante «Stroganoff» wandert auf meinem Bestellzettel in Richtung Küche.

Mit einer solch wunderbaren Aussicht auf stolze Gipfel gestaltet sich die Wartezeit selbst für knurrende Mägen als kurzweilige Angelegenheit. Als ein eckiger weisser Teller vor mir abgestellt wird, weiden sich meine entspannten Augen an dem Anblick: Pommes Frites und Zitrone messen sich im Wettstreit um das strahlendste Gelb, während sich das im Hintergrund dräuende Cordon bleu in punkto Grösse an den umliegenden Bergmassiven orientiert. Mit gezücktem Besteck schneide ich den Moment der Wahrheit herbei, an dem sich zeigen wird, ob das Risiko meiner Entscheidung aufgegangen ist. Aus den ersten Lücken saftet es bereits in kräftigem Orange, zuerst noch spärlich aber mit zunehmender Vergrösserung des Schnitts steigt das Volumen an, begleitet von einem betörenden Duft. Die erste Portion auf der Gabel zeugt vom dicht gepackten Inhalt und der Gaumen bestätigt nach einem kurzen Moment, was die Nase schon lange vermutet: Das ist wahrhaftig Stroganoff, und erst noch ein Gutes gopfridstutz! Peperoni, Paprika und die Mischung aus säuerlichen sowie pikanten Noten kommen glasklar durch. Obwohl der Kopf diesen Eindruck eher in Begleitung von Nudeln erwartet und dementsprechend leicht verwirrt ist, frohlockt die Zunge über das dargebotene Erlebnis. Meine initiale Skepsis gegenüber dem Parmesan entpuppt sich nun nicht nur als unbegründet, sondern gar kolossal falsch. Die sonst eher selten in Cordon bleus verwendete Käsesorte brilliert in diesem Fall und dringt mit ihrer charakteristisch prägnanten Geschmacksnote punktuell durch das dicht gewobene Netz aus Eindrücken, ohne selber in den Vordergrund zu drängen. Alternativen wie Berg- oder Weichkäse hätten diesen Balanceakt wohl nicht so geschickt hingelegt. So tut der italienische Hartkäse seinen Dienst als Brücke zwischen den beiden Geschmackswelten «Stroganoff» sowie «Cordon bleu» und verhindert, dass die Kreation als glorifiziertes Jägerschnitzel endet. Ebenfalls hilfreich ist die Tatsache, dass sowohl das Schweinefleisch als auch die Panade auf eigene Art glänzen können: Ersteres weist trotz der üppigen Portionengrösse beeindruckenderweise vom ersten bis zum letzten Bissen eine durchgehend zarte Konsistenz auf, während Letztere jeden Happen mit hauchdünnen Knuspertönen unterlegt.

Neben diesen Höhenflügen findet meine pedantische Ader jedoch auch ein paar Punkte, an denen man herumkritteln kann: So sehr der Parmesan als Idee sowie in der Praxis glänzt, hätte ich mir eine ausgewogenere Verteilung gewünscht. Manche Stellen im Cordon bleu werden nur vom Mascarpone bedient und dieser ist auf sich allein gestellt keine optimale Vertretung der Käsefraktion. Ebenfalls etwas schade ist, dass Knoblauch und Champignons nicht so deutlich herausstechen wie die anderen Gemüsekomponenten in der Füllung. Ich teile meine Eindrücke mit meinen Tischgenossen, der sich nach einem Probierbissen äusserst beeindruckt zeigt. Dafür wandert als Gegenleistung ein Stück seines Cordon bleu «Prisca» zu mir hinüber. Dessen prägnantes Merkmal ist der tüchtig vorhandene sowie adrett grüne Rahmlauch und siehe da, auch diese Sorte mundet dank dem Duett aus kräftigem Lauch und geschmeidigem Käse vorzüglich. Bei so viel Fleisch-und-Käse-Freuden wundert es nicht, dass die Beilagen bis jetzt auf ihren Auftritt warten mussten. Die servierten Pommes Frites haben diesen Platz in der zweiten Reihe auf alle Fälle nicht verdient – mit ihrer zarten Hülle und milder Würze handelt es sich hier um eine überraschend luftig-leichte Version der allseits bekannten Knabberstengel und sie müssen sich genusstechnisch überhaupt nicht vor dem Cordon bleu verstecken.

An diesem Punkt könnten wir die Mahlzeit bereits satt und höchst zufrieden beenden, das sonnige Wetter schreit jedoch nach einem eiskalten Nachtisch. Gemeinsam mit dem bestellten Dessert (bei mir Aprikosensorbet mit dem Walliser Obstbrand Abricotine) geniessen wir noch ein kurzes Schwätzchen mit der Wirtin. Darin wird einmal mehr klar, dass die gelungenen Cordon-bleu-Sorten nicht dem Zufall, sondern einer spannenden Küchenphilosophie entspringen. Ganz nebenbei erwähnt sie auch, dass im August ein Festival mit zahlreichen noch ausgefalleneren Varianten stattfinden wird. In unseren Köpfen beginnt es nach dieser Information sogleich zu rotieren und spontan keimt die Idee heran, dann noch einmal einzukehren. Zuerst einmal will jedoch dieser Besuch mit dem Bezahlen der Rechnung abgeschlossen werden.

Anschliessend verrät die Uhr, dass bis zur Abfahrt der nächsten Verbindung nach Chur noch ein gutes Stück Zeit übrigbleibt. Dies trifft sich gut, denn die kompakte und beschauliche Ilanzer Altstadt liegt vor unseren Nasen und lädt zu einem vergnüglichen Verdauungsspaziergang ein. Wir schlendern an charmanten Häuserzeilen sowie allen vier ehemaligen Stadttoren vorbei und informieren uns nebenbei dank zahlreichen Informationstafeln über die Geschichte des Ortes. Eine kurze Schmökertour der regionalen kulinarischen Spezialitäten im örtlichen Spar darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Mit satten Bäuchen und vollen Taschen besteigen wir schlussendlich den feuerroten Wagen der Rhätischen Bahn, welcher uns erneut an spektakulären Wasserlandschaften vorbei zurück ins Unterland transportiert.

Dank einer glücklichen Fügung gipfelte meine spontane Wahl in einem unerwartet genussvollen Triumph. Eine Küche die sich eine solche wilde Kreation wie das Stroganoff-gefüllte Cordon bleu ausdenkt und erst noch kompetent ausführt geniesst meine Hochachtung und schürt Neugier auf andere aussergewöhnliche Sorten, die ich am liebsten sofort probieren möchte. Egal ob euer Herz für klassische oder kreative Cordon bleus schlägt, ihr schuldet euch eine Genussreise nach Ilanz zum Restaurant Obertor.

Als ideale Gelegenheit bietet sich das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension noch bis am 03. September währende Cordon-bleu-Festival an – mein Termin ist bereits gebucht.

Bewertung

Schweins Cordon bleu «Stroganoff»
9/10, «Fantastisch»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.restaurant-obertor.ch

Welche bekannten Saucen würden sich sonst noch als Füllung für Cordon bleus anbieten? Schreibt es in die Kommentare oder meldet euch per E-Mail bei illinfo@cordonblog.ch. Ihr möchtet keine neuen Beiträge verpassen? Cordonblog ist auch auf Facebook und Instagram, folgt mir und erhaltet Benachrichtigungen für neue Beiträge, zusätzliche Bilder und gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen.

2 comments

  1. Mein Tipp: Reist beim nächsten mal mit mindestens 6 Personen an und bestellt die Cordon Bleu Platte. Dann gibts mini- Cordon Bleus von fast allen Sorten und man kann sich durch das Angebot probieren! So probiert man auch gerne mal eine Sorte die man sonst nie bestellt hätte. Dazu bekommt ihr noch Salat und Pommes.

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