Jüngst packte mich einmal wieder die Lust, ein Lokal in der Umgebung von Richterswil zu besuchen, anstatt weiter in die Ferne zu schweifen. Etwas den Hügel hinauf am Sternenweiher in Samstagern liegt das passend benannte Restaurant Sternensee. Der Abstecher ins Regionale hat sich in mehr als einer Hinsicht gelohnt und mich sogar von einem hartnäckigen Vorurteil kuriert.
Nach einigen grauen Oktobertagen zeigt sich das Wetter heute versöhnlich und zaubert mir auf dem Weg zum Restaurant ein kunterbuntes Herbstpanorama mit herrlicher Aussicht auf die andere Seite des Zürichsees. Die Szene wird durch das diffuse Halblicht der untergehenden Sonne angemessen prächtig in Szene gesetzt und wären da nicht der schneidende Wind sowie der nagende Hunger, dann würde ich jetzt noch dort stehen und den Blick schweifen lassen.
Gleich nach dem Eintreffen beginnt mit entsprechend herbstlich eingestellten Sinnen das Durchkämmen der Speisekarte, wo gleich als Erstes ein Glas Sauser in den Bestellkorb wandert. Aber dann bringt ausgerechnet das Cordon bleu meine Entschlusskraft gehörig ins Wanken. Ich kam nämlich mit dem festen Vorsatz hierher, die saisonale Variante vom Wildschwein mit zur Jahreszeit passenden Beilagen zu verköstigen. Beim Durchlesen der Beschreibung klingt das von «Wildschwein-Rohschinken» bis zu «würziger Bergkäse» noch wie ein gut gewählter Plan, bis die Augen über das vermeintlich harmlose Wort «Trüffel» huschen. Der Edelpilz und ich wurden trotz mehrmaliger Annäherungsversuche nie richtig warm miteinander. Ehrlich gesagt wäre es eine Premiere, wenn ich nun ein Gericht mit dieser Knolle freiwillig bestellen täte. Nebenan bei den Klassikern ist noch ein herkömmliches Cordon bleu vom Schwein oder Kalb aufgeführt, welches ich auf meiner Suche nach einer Alternative unter die Lupe nehme. Trotzdem will mir meine ursprüngliche Absicht nicht aus dem Kopf gehen und letztendlich gebe ich mir doch einen Ruck. Wenn sich bei diesem herbstlichen Mahl kein Versuch lohnt, dann wohl nie! Meine Bestellung wird vom ausnehmend freundlichen Servicepersonal mit einem bestärkenden «Das ist wirklich fein!» aufgenommen. Als Antwort darauf lächle ich schwach und bin innerlich bereits fest davon überzeugt, wider besseren Wissens einen kolossalen Fehlgriff getätigt zu haben.
Während draussen vor den Fenstern das goldene Licht allmählich wegdämmert, hadere ich noch etwas weiter an meiner Entscheidung. Der sich langsam mit anderen Gästen füllende Speisesaal, die sowohl gemütliche als auch stilvolle Einrichtung mit ihren hell gestrichenen Wänden und altgedienten Möbeln sowie ein weiterer Schluck vom mundigen Sauser geben ihr Bestes, um mein Gemüt wieder mit der Welt zu versöhnen. Als der grosse Teller serviert wird, kann ich ihn deshalb doch mit angemessen freudiger Stimmung in Empfang nehmen. Er ist reich und bunt beladen, genau so, wie man sich eine Herbstplatte vorstellt. Das Cordon bleu ist für einmal das kleinste Element darauf aber vor meiner Begegnung mit dem gefürchteten Trüffel steht sowieso erst eine kleine Erkundungstour der Beilagen auf dem Programm. Von den Rosenköhlchen (weich, trotzdem noch bissfest) über die Marroni (erdig süss) sowie dem Rotkraut (überraschend pfeffrig) bis zur Birne mit Preiselbeeren stimmt die Vielfalt, geschmacklich ist für mich jedoch keine Offenbarung dabei. Ganz anders die wohlfeil schmeckenden, grosszügig gewürzten Pommes Frites und ihre robuste Kruste, die befriedigend kracht, statt bloss zu knuspern.
Doch nun genug Vorgeplänkel, es ist an der Zeit mich den Konsequenzen meiner Wahl zu stellen. Ein leichtes Zittern überfällt die Finger, als ich das Messer zum Schnitt ansetze, ob vor Nervosität oder als letzte Überbleibsel der kalten Witterung draussen ist schwer zu sagen. Ein weiteres kurioses Omen folgt gleich nach: Dass die Käsefüllung auf der Oberseite rausdringt während vorne angeschnitten wird habe ich so noch nie erlebt. Der durchdringende Geruch nach Trüffel füllt sogleich die Luft und mit geschlossenen Augen erwartet mein Gaumen das erste Stück. Das gefürchtete Grausen bleibt aber aus, ja ich muss sogar beschämt zugeben, dass das Öl des Pilzes charakterlich ausgezeichnet zu den restlichen Komponenten passt. Sein schweflig-prickelndes Aroma legt sich über den klebrigen, sich an die Gabel klammernden Bergkäse, ohne dessen rezentes Aufblitzen zu ersticken. Als Dritter im Bunde gesellt sich der eigensinnige Wildschwein-Rohschinken dazu, welcher der Mundhöhle mit wohliger Würze ein leichtes Kribbeln verschafft. Im Vergleich zu diesem beschwingten Trio der Füllung bleibt das herb schmeckende und fester strukturierte Fleisch des Schwarzwilds im Hintergrund, was mich aber nicht schade dünkt, weil die Gesamtkomposition äusserst gut mundet. Als der letzte Happen vom Teller verschwindet, bin ich fast etwas traurig, ein Gefühl, das ich noch nie auf positive Art und Weise mit einer Trüffelspeise in Verbindung brachte.
Eigentlich wäre jetzt der richtige Moment um Arme und Beine von sich zu strecken und ein ausgiebiges Nickerchen zu halten. Dessert? Nein danke, auch wenn die Auswahl der Nachspeisen natürlich mit einem Vermicelles lockt und das Servierpersonal nett darauf hinweist, dass alles auch in ganz kleinen Portionen verfügbar ist. Stattdessen ruft der Abmarsch nach Richterswil, den ich im silbernen Scheinwerferlicht des beinahe vollen Mondes ohne Zwischenfälle aber mit grosser Zufriedenheit zurücklege.
Manchmal geschehen doch noch Wunder: Dass ich mal so von einem Cordon bleu mit Trüffel schwärmen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt. Dementsprechend bin ich der Küche des Restaurant Sternensee für die Korrektur meines Vorurteils äusserst dankbar. Wer sich auch einmal von ihrer Handwerkskunst in Sachen Cordon bleu überzeugen und anschliessend die prächtige Umgebung erkunden möchte, kann schon einmal vorsorglich eine Reise nach Samstagern planen.
Bewertung
Wildschwein Cordon bleu
7/10, «Sehr gut»
Detailbewertung
Kategorie | Punkte |
---|---|
Panade | 7/10 |
Fleisch | 7/10 |
Füllung | 8/10 |
Gesamtgeschmack | 8/10 |
Speisekarte | 6/10 |
Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog
Infos zum Restaurant
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