Restaurant Nachbarsgarten – Kraftzwerg

Der (vermeintliche) Restauranteingang vom Nachbarsgarten

Es macht sich äusserst rar, aber von Zeit zu Zeit läuft es mir über den Weg – das unverhoffte Cordon bleu. Beim firmeninternen Weihnachtsessen im Winterthurer Restaurant Nachbarsgarten rechnete ich eigentlich nicht damit, dass das Verfassen einer Rezension ebenfalls auf dem Menü stehen wird.

Noch während wir unsere Plätze einnehmen, macht bereits ein aufgeregtes Raunen die Runde. Aufmerksame Naturen im Team wollen gesehen haben, wie am Nebentisch ein Cordon bleu serviert wurde. Aus Höflichkeit versuche ich nicht, mit Recken und Strecken einen Blick auf den besagten Teller zu erhaschen, obwohl mein Bauch die Frage dringend klären möchte. Er muss sich bis zum Erhalt der Speisekarte gedulden, dort steht es dann schwarz auf weiss: Jawohl, es ist ein Cordon bleu erhältlich. Und nicht etwa die Feld-Wald-und-Wiesen Variante, dieses Schmuckstück wird mit Höhlenkäse und Parmaschinken gefüllt. Wenn doch die restlichen Speisen nicht ebenso verheissungsvoll wären! Dass sich die meisten meiner Kollegen und Kolleginnen für die Fleischtasche entscheiden, hilft auch nicht weiter. Wäre es aushaltbar, den anderen beim Lob oder Tadel zuzuhören und selbst nicht mitreden zu können? “Hier sitz ich nun. Ich kann nicht anders.” schiesst es mir durch den Kopf und unter einigem Amüsement gebe ich die Bestellung für das Cordon bleu mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf. Vorneweg gibt es einen Apfel-Selleriesalat, dieser kann mich hoffentlich über das entgangene Black Angus Filet und den Tagesfisch hinwegtrösten.

Einige Worte noch zur Lokalität (die auch viele verdient hätte): Drinnen fühlt man sich wie in Nachbars Stube, es wirkt eingelebt und gemütlich. Liebhaber des «Shabby Chic»-Stils werden freudige Augen machen. Die Anordnung der Tische wirkt eng, aber wenn man Platz genommen hat, fühlt es sich auf angenehme Weise kuschelig an. Grosses Lob geht an die Lautstärke der Musik, die wahrnehmbar ist, aber auf einem Pegel, dass Tischgespräche ohne Verständigungsprobleme möglich sind.

Bühne frei für den Apfel-Sellerie Salat, welcher den Part der Vorspeise hervorragend ausfüllt. Cremig süss-sauer in der Mitte, aussen knusprig durch den mit Honig beträufelten Speck und die karamellisierten Walnüsse. Das schmeckt noch viel besser als es klingt und sogar ich altbekannter Selleriezweifler habe keine andere Wahl, als die Portion in beunruhigend hohem Tempo zu verschlingen. Warum mir diese Version des Wurzelgemüses so gut mundet? “Es ist immer die Sauce”, meint ein Kollege verschwörerisch. Das ist der Anstoss zu einer Diskussion über Essensphilosophie, bei der auch über Cordon bleus gesprochen wird. Genauer um deren Definition – Wieviel kann man weglassen, bevor ein Cordon bleu kein Cordon bleu mehr ist? Die Panade ist aus meiner Sicht Verhandlungssache, beim Käse wirds schwierig. Diese Ansicht wird von gewissen Puristen an der Tafel jedoch nicht geteilt, auch nach einigem Austausch bleiben die Fronten verhärtet und eine Einigung ist nicht in Sicht. Dafür erspäht ein findiges Augenpaar die herannahende Hauptspeise, der wir nun unsere volle Aufmerksamkeit widmen möchten.

Auf einem adretten Bett aus Gemüse kommt es daher, dieses dunkelbraune Fleischpäckchen. Neben der Sänfte aus Grünzeug und ihrem Passagier bleibt auf dem Teller gerade noch Raum für ein Preiselbeergelee. Die rustikalen Pommes Frites müssen aus Stil- und Platzgründen im Schälchen warten. Dabei verdient ihr exzellenter Knuspergrad und das heisse kartoffelige Innenleben durchaus einen Auftritt in der grossen Manege.
Die Begegnung mit dem Cordon bleu steht nicht unter dem Motto “Liebe auf den ersten Schnitt”. Dafür ärgere ich mich zu sehr über die Panade, welche wieder einmal zu stark klammert, statt sich elegant vom Schweinefleisch zu lösen. Auf Anhieb sympathisch ist jedoch die Käseschwemme, welche mit unbändiger Energie vom Anschnitt auf den Teller hinaussprudelt. Geschmacklich kann sich der Höhlenkäse auch behaupten, in Verbindung mit dem zarten Parmaschinken vollzieht sich eine magisch anwirkende Fusion: Der erdig-weiche Charakter des Käses und aromatisch-würzige Gout des Schinkens spielen auf der Geschmacksklaviatur meines Gaumens Hand in Hand von leicht bitter bis nussig-salzig alle Nuancen durch, dass es mir gehörig die Zunge kräuselt.
Allerdings wird dieses Feuerwerk nur selten abgebrannt, schuld daran ist die oben erwähnte Käseflut. An einigen Stellen im Cordon bleu ist schlicht nicht genügend Material für das vorzügliche Duett vorhanden und ohne milden Partner driftet der Parmaschinken rasch in zu salziges Territorium ab. Beim Fleisch sorgt die mitunter zu trockene Textur ebenfalls für leisen Tadel, dies kann der mundige Geschmack nicht mehr ausreichend ausgleichen.

Deshalb erhält das Gemüse die realistische Chance, von der Nebenspeise zur Hauptattraktion aufzusteigen. Durch kundige Hand auf den punktgenauen Garpunkt gebracht und zurückhaltend gewürzt, steht es selbstbewusst auf eigenen Beinen. In mehr als einem Sinne absolut umwerfend ist die Menge an Knoblauch, welche für den Brokkoli eingesetzt wurde. Die rassige, glücklicherweise vom Kohlgemüse gedämpfte, Geschmacksnote bezahle ich etwas später mit einer beeindruckenden Fahne, die jeden Vampir zurück in den Sarg flüchten lässt.
Nun ist der Teller leer und der Moment gekommen, um tischauf und tischab die Eindrücke meiner Kollegen abzuholen:

Gut, etwas salzig. Die Mischung mundet und die Portion ist genau richtig. Solide 7/10.

Grundsätzlich gut, das Fleisch war aber nicht genug durch. Ausserdem hatte es mir zu viel Käse drin.

Sehr sehr positiv.

Mein Bauch sagt an dieser Stelle so leise “Stopp”, dass der Appetit diesen Einwurf nicht nur überhört, sondern beim Studium der Dessertkarte in die ganz gegenteilige Richtung abbiegt. Eine Crema Catalana muss es jetzt sein, findet er, und nichts anderes. Da er sich meines Gehirns und Zunge bemächtigt hat, wird gehorsam Folge geleistet und bald schon trifft die bestellte Süssspeise ein. Immerhin hat sie eine überschaubare Grösse. Nach eindringlichem Klopfen mit dem Löffel knackt der flambierte Zuckerdeckel mit einem Geräusch, das sich durch die Ohren hindurch in mein Herz bohrt. Beim Verköstigen der darunterliegenden hellbraunen Creme danken alle Körperteile dem Appetit eindringlich, dass sich dieser gegen jede Vernunft durchgesetzt hat. Himmeltraurig, wenn mir dieses Bijou aus Vanille mit leichtem Buttergeschmack und luftig-ausgewogener Konsistenz durch die Lappen gegangen wäre.

Es ist ein Jammer, dass die zauberhafte Kombination in der Füllung dieses Cordon bleus von den anderen Komponenten so deutlich zurückgehalten wird. Ich komme trotzdem nicht umhin, eine Empfehlung mit Vorbehalt auszusprechen. Wer in erster Linie eine aussergewöhnliche Füllung sucht und beim Rest ein Auge zudrücken kann, ist hier definitiv an der richtigen Adresse.

Bewertung

Schweins Cordon bleu
6/10, «Gut»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://nachbarsgarten.ch/

Beim ersten Schnitt strömt einem die gesamte Füllung entgegen – mögt ihr das? Schreibt es in die Kommentare oder meldet euch per E-Mail bei info@cordonblog.ch. Ihr möchtet keine neuen Beiträge verpassen? Cordonblog ist auch auf Facebook und Instagram, folgt mir und erhaltet Benachrichtigungen für neue Beiträge, zusätzliche Bilder und gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen.

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