Hôtel-Restaurant de la Tourne – Fleischtigerdschungel

Eingang des Restaurants

Die Suche nach überragenden Cordon bleus führt mich dieses Mal endlich in die Westschweiz, genauer gesagt ins Hôtel-Restaurant de la Tourne im Kanton Neuchâtel. Die Küche des Hauses besticht mit Speisen aus lokalen Zutaten und die Cordon bleus werden als «fameux» angepriesen. Lohnt sich also eine Exkursion in den Uhrenkanton?

Ein angenehmer Zusatzgenuss dieser Rezensionen ist das Privileg, mir noch unbekannte Flecken der Schweiz entdecken zu dürfen. In den Hügeln rund um Neuchâtel war ich noch nie und genau dort liegt unser Ziel. Entsprechend aufmerksam studiere ich die Landschaft, während uns das Postauto immer höher hinaufträgt. Die Wälder sind prächtig grün, während die Wiesen durch die anhaltende Trockenheit in Mitleidenschaft gezogen wurden und gelb-braun daliegen.

Am Ende eines besonders kurvigen Abschnitts steht es dann plötzlich da, das ersehnte Restaurant. Ein bisschen müde, aber mit einem Bärenhunger schauen wir uns noch etwas um. Ausser der Bushaltestelle hat es nicht viel, vor allem Natur und viele Kühe. Vom nahegelegenen Parkplatz aus kann man aber immerhin einen Blick auf den Lac de Neuchâtel erhaschen. Unsere Mägen ermahnen uns nun deutlich, dass es höchste Zeit ist, endlich mal einzukehren. Diesem Aufruf leisten wir pflichtbewusst Folge. Da ein stetiger Wind für erstaunlich frische Temperaturen sorgt, verzichten wir auf die reservierten Terrassenplätze und sitzen lieber in die gemütliche Gaststube. Diese ist rustikal eingerichtet: Holztäfer, Kuhglocke und ein wunderschöner Kachelofen versprühen Heimeligkeit. Schwarz-weisse Bilder an den Wänden dokumentieren die Geschichte des Restaurants durch die Jahrzehnte. Der Ländler, welcher leise aus den Lautsprechern dudelt, trägt zur geruhsam-schläfrigen Atmosphäre eines Samstagmittags auf dem Lande bei.

Die Speisekarte kommt originell auf einer Wandtafel daher, alle Speisen wurden liebevoll von Hand aufgetragen. Zahlreiche Fleischgerichte aus lokaler Herkunft buhlen um unsere Gunst, aber die Herzen und Mägen sind auf Cordon bleu eingestellt. Dieses ist mit Schweinefleisch (mit Kalbfleisch leider nicht verfügbar) und in verschiedenen Grössen, von „le p‘tit“ (200 Gramm) über „le moyen“ (350 Gramm) bis hin zu „le grand“ (550 Gramm), erhältlich. Im Innern schlägt ein Käseherz aus Les Ponts-de-Martel, natürlich ebenfalls eine regionale Spezialität. Dazu wird Gemüse und wahlweise Pommes Frites, Rösti oder Nudeln serviert. Die Wahl am Tisch fällt einstimmig auf dieses Regio bleu, Unterschiede gibt es nur im Ausmass des Hungers. Meine Portion wird ein „grand“ – wenn ich schon von weither anreise, dann muss auch etwas Ordentliches auf den Teller.

Die Zeit bis zum Eintreffen der Bestellungen vertreiben wir uns mit Diskussionen über den Stand in der Formel 1 und einem Würfelspiel. Als jedoch jemand die Dessertkarte entdeckt (ebenfalls schmuck auf einer Wandkarte dokumentiert), beginnt bereits die grosse Diskussion darüber, wer was zum Nachtisch bestellt. Ein Glücksfall, dass schon bald die Teller mit der Hauptspeise eintreffen. Neben meiner Riesenportion hat es gerade noch Platz für ein wenig Gemüse, die Rösti-Beigabe muss es sich in einer separaten Schale bequem machen. Eine Inspektion der Panade fällt insgesamt positiv aus, die hellbraune Farbe wird durch gesprenkelte Kräuter hübsch aufgelockert. Leider hat man es mit der guten Butter etwas übertrieben, die Unterseite ist davon ganz aufgeweicht und tropft. Generell dürfte die Textur für meinen Geschmack noch deutlich knuspriger sein. Das Schweinefleisch wetzt diese Scharte aber locker aus, es hat einen umwerfenden Gout und ist sowohl zart als auch saftig. Interessanterweise ist es hier wieder dicker geschnitten als sonst üblich, was in diesem Fall ein Segen ist. Der nussig-milde Schinken begeistert mich ebenfalls und ist eine ideale Begleitung. Dass ich den Käse als Letztes anspreche, hat einen traurigen Grund: Im Verhältnis zur Grösse des Cordon bleus ist viel zu wenig davon drin. Schade, denn die vorhandene Portion ist geschmacklich ausserordentlich lecker: herzhaft, erquickend und rezent, so dass die Zunge kribbelt. Gemischte Gefühle lösen auch die Beilagen aus. Das Gemüse ist so durchschnittlich wie nur möglich, während die Rösti den Gaumen zu Beginn mit ihrer knusprigen Textur und mildem Geschmack erfreut, dann aber zum Ende hin ebenfalls in zu viel Butter schwimmt. Die Platte stellt meinen Magen einmal mehr vor eine Herausforderung, welche er knapp aber doch mit Bravour besteht.

Dessert muss es jetzt aber trotzdem geben, sonst hätten wir die Karte vorhin ja vergeblich studiert. Unsere Entscheidungen werden aber rasch über den Haufen geworfen, als uns der Patron von den Hausspezialitäten erzählt, die gar nicht auf dem Menu aufgeführt waren. Nach einigem Hin- und Her finden dann alle etwas und als der Nachtisch eintrifft, blicke ich neidvoll auf das Geschirr der Mitessenden. Gegenüber Creme Brûlée (verfeinert mit Rosmarin), Vanilleglace mit Absinthe und Coupe Dänemark an einer hausgemachten Schokoladensauce sehen meine Meringues mit Glacé und Schlagrahm ziemlich altbacken aus. Sie schmecken mir aber vorzüglich und ich darf netterweise überall noch probieren. Sowohl die Creme als auch der Coupe sind ausgezeichnet aber der klare Champion am Tisch ist der Glace-Absinthe-Becher, ein schmackhafter Mix aus Zucker und Anis.

Für den verspeisten Berg aus Essen fällt die Schlussrechnung erfreulich moderat aus, nach dem Bezahlen empfängt uns draussen erneut ein Lüftchen und sorgt dieses Mal für willkommene Abkühlung. Während wir auf den Bus warten, schält sich bei mir nach einigen Diskussionen mit meiner Tischgesellschaft folgende Einschätzung heraus: Eine gute Zeit hatten wir durchaus, jedoch sorgten die Panade und der Käse für Enttäuschung auf hohem Niveau. Fleischtiger bekommen aber einiges geboten und sollten dem Restaurant an der Kurve unbedingt einen Besuch abstatten.

Bewertung

Schweins Cordon bleu
6/10, «Gut»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.restaurant-la-tourne.ch/

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