Restaurant Flügelrad – Wundertüte

Eingang des Restaurants Flügelrad

Olten beherbergt einen der wichtigsten Knotenbahnhöfe der Schweiz, viele von euch kennen die Stadt bestimmt von einer Durchfahrt mit dem Zug in Richtung Bern. Wenn man den Blick an den Gleisen vorbei schweifen lässt, fällt einem vielleicht das Restaurant Flügelrad auf. Das Schweins Cordon bleu des Hauses mit einem stolzen Kampfgewicht von 450 Gramm und die interessante Historie des Lokals waren für mich die ausschlaggebenden Argumente, um auf ein gemütliches Mahl vorbeizuschauen.

Wenige Schritte nach dem Verlassen der Unterführung steht man bereits vor der Quartierbeiz. Dass das Restaurant überhaupt noch da ist, ist leider keine Selbstverständlichkeit und traf sich so: Nach über 100 Jahren war die Zukunft des Hauses unklar. Um diese gesellige Oase für Olten zu bewahren, entschloss sich eine Gruppe (zu denen unter anderem die Schriftsteller Alex Capus und Pedro Lenz gehörten) das Haus käuflich zu erwerben und die Zusammenarbeit mit dem Koch Martin Allemann als Pächter aufzunehmen. Ein Hüpfer zurück in die Gegenwart, wo ich mit knurrendem Magen vor der Eingangstür stehe. Eine angebrachte Tafel zeigt die weiter fortbestehende Verbindung zur Schweizer Literatur, man findet darauf einen Link zu einem gesprochenen Text von Pedro Lenz, in dem er den Blick auf die Welt ausgehend vom Flügelrad aus beschreibt.

Bereits beim Öffnen der Türe macht der Lärmpegel klar, dass Hochbetrieb herrscht. Mein reservierter Platz befindet sich in der Mitte des Raumes an einem runden Tisch, den ich mir mit vier anderen Personen teile. Eine ungewohnte Konstellation, die aber auch den Vorteil mit sich bringt, dass ich auf dem Teller der Sitznachbarin zu meiner Linken bereits das Cordon bleu erspähen kann. Somit erübrigt sich der Blick in die Speisekarte eigentlich, die Küche konzentriert sich auf die klassische Variante vom Schwein und hat keine zusätzlichen Sorten im Angebot. Ob dieser Fokus wohl in einem besonders schmackhaften Cordon bleu resultieren wird?

Wie erwartet schlägt die Einrichtung mit ihren eingelebten und gepflegten Holzmöbeln traditionelle Töne an, Firlefanz sucht man vergebens. Durch den geradlinigen Charakter des Raumes kommen Elemente wie die Kunst an den Wänden sowie das ansprechende Tischgedeck noch stärker zur Geltung. Es ist ein schönes Gefühl, wieder einmal in einer so belebten Beiz zu sitzen, auch wenn die Aufnahme von Bildern des Interieurs dadurch etwas komplizierter als gewohnt ausfällt. Die gelöste, fröhliche Atmosphäre im Raum wird sowohl von den zahlreichen, sich lebhaft unterhaltenden Gästen als auch vom exzellenten Serviceteam getragen. Selbst in dieser grossen Hektik bleiben sie auf bewundernswerte Art entspannt sowie fröhlich und haben ein nettes Wort für alle Situationen parat. Als ich so dasitze und mich in der Rolle des stillen Beobachters versuche, wird der grösste Nachteil meines geteilten Tisches mit fortschreitender Wartezeit immer deutlicher. Da die anderen Plätze früher bestellen konnten, laben sie sich bereits an ihren Hauptgerichten, während ich meine eifersüchtigen Blicke im Zaun halten muss, um die friedliche Stimmung nicht zu gefährden.

Der herbeigebrachte Teller sorgt augenblicklich für Entspannung in dieser verzwackten Situation. Die dunkelbraune, leicht schimmernde Hülle des Cordon bleus lässt mich den Rest des Raumes vergessen. Mit der Erwartung, dass unter der hübschen Panade eine klassische Füllung schlummert, schneide ich tief hinein und bin dann bass erstaunt. Was hier hervorsprudelt ist ganz bestimmt kein ordinärer Käse, das sieht man bereits an seiner Textur, welche eher an geschmolzenen Weichkäse wie zum Beispiel Brie erinnert. Gespannt nehme ich den ersten Probierbissen und werde erneut überrascht: Statt rezent, bitter oder mild würzig erwartet meinen Gaumen eine süssliche Note mit leicht salzigem Ausklang. Der Geschmack von weich geschmorten Zwiebeln kommt mir als Vergleich in den Sinn, trifft es aber nicht ganz. Es braucht noch einige weitere Bissen, bevor ich mich gänzlich mit diesem Wunderkäse angefreundet habe, aber schlussendlich mündet unsere Begegnung in einer Liebesbeziehung. Da trifft es sich hervorragend, dass die restlichen Komponenten in erster Linie als Bühne für die wunderbare Füllung dienen, statt selbst starke Akzente zu setzen. Das dünn geschnittene Schweinefleisch ist an einigen Stellen leider etwas trocken geraten, was die Freude trübt. Dafür kann die daran klebende Panade mit einer geschmeidig-knusprigen Textur überzeugen. Intensiv über den Charakter des Käses sinnierend, merke ich gar nicht, wie rasch das üppige Cordon bleu Stück für Stück von meinem Teller verschwindet, was immer ein gutes Zeichen ist.

Die in einem separaten Schüsselchen servierten Pommes Frites spielen die Rolle der Beigabe mit Bravour. Schwach gesalzen, so dass der erdige Eigengeschmack der Kartoffeln voll durchdringt und in einer eigentümlich festen anstatt spröd-knusprigen Verpackung greife ich mir während dem Schmaus immer wieder gerne eine Handvoll der leckeren Goldstifte. “Klein aber fein” lautet das Motto beim Gemüse, bei den Zubereitungsarten herrscht ausserdem erfreulich grosse Abwechslung: Gebratene Tomate, gegrillte Zucchetti sowie in Butter geschmorte Rüben und Kohlrabi erfreuen sowohl den Gaumen als auch das Gemüt.

Gerade als ich überlege, ob ein Dessert noch drin liegt, bringt die Kellnerin mit einem Lächeln das Blech mit dem Tageskuchen an den Tisch. Geschaut wird bekanntlich mit den Augen, meine Hände möchten beim Anblick der verlockenden Zwetschgenkuchenrechtecke jedoch am liebsten sofort zugreifen. Stattdessen ordere ich höflich ein Stück mit Rahm, man will ja kein Unhold sein. Dieses schmeckt ausgezeichnet, der süss-rahmige Eiergeschmack des Gusses weckt wohlige Erinnerungen an Wähen aus meiner Kindheit. Währenddessen krümelt der hausgemachte Mürbeteig bei jedem Bissen fröhlich im Mund herum. Die dichte Konsistenz des Rahmes gefällt mir ebenfalls, auf dem Kuchen dämpft er für meinen Geschmack die Süsse allerdings zu stark, weshalb ich ihn einfach so geniesse. Nach dieser lieblichen Abschiedsvorstellung schlägt die Zeit für den Heimweg. Mit leicht wehmütigen Gefühlen verabschiede ich mich von dem inzwischen liebgewonnenen Gemeinschaftstisch und trete in die kühle Nacht hinaus, wo eine abendliche Frühlingsstimmung wartet.

Ehrlichkeit, Geschmack, Bodenständigkeit: Auf diese Aspekte scheint das Küchenteam im Restaurant Flügelrad ein besonderes Augenmerk zu legen. Schön, dass trotzdem Raum für Überraschungen bleibt, wie die Käsefüllung des Cordon bleus eindrucksvoll unter Beweis stellt. Lasst euch von dessen ungewohntem Geschmack aber nicht abschrecken und überzeugt euch bei einem Besuch besser selbst von den Qualitäten dieses klassischen Cordon bleus. Es lohnt sich!

Bewertung

Flügelrad Cordon bleu
7/10, «Sehr gut»

Detailbewertung

Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog

Infos zum Restaurant

https://www.flügelrad.ch

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1 comment

  1. Hei, eiei, lieber Alessandro, da knurrt mir jetzt aber der Magen gewaltig 🤗!! Irgendwann in Bälde werden wir einen Cordon bleu Ausflug nach Olten ins Programm nehmen. Danke für den super leckeren Text!!

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