Dieses Restaurant wurde von mir als eines der Cordon bleus des Jahres 2022 ausgezeichnet. Weitere Informationen dazu hier.
Eisige Temperaturen, dichter Schneefall, klappernde Zähne. Das zurzeit herrschende Wetter löst bei mir den innigen Wunsch nach etwas Warmen und Gemütlichen aus. Ein Holzkohlegrill käme einem dabei nicht als Erstes in den Sinn, auch nicht als Zubereitungsmethode für Cordon bleus. Im Restaurant Gass 17 in Appenzell durfte ich die beiden Gegensätze in trauter Harmonie vereint geniessen.
Die Ruderer im Obersee scheinen keine Kälte zu empfinden. Anders kann ich es mir nicht erklären, wie sie so ruhig in ihrem Boot sitzen und gleichmässig auf grauem Wasser vor grauen Nebelschwaden dahinrudern. Obwohl ich die Szene vom warmen Zugsabteil aus bewundern darf, fröstelt mich der Anblick. Vor Wattwil wird die Aussicht erfreulicher, ein prächtiges Winterwunderland wird vor mir ausgebreitet. Das dichte Schneegestöber türmt immer grössere Mengen an weissem Puder auf, zusammen mit der tiefhängenden Wolkendecke macht die Umgebung einen beinahe gespenstischen Eindruck. Dann und wann schälen sich dunkle Bäume oder schwach beleuchtete Bauernhäuser aus dem Dunst, bevor sie rasch wieder aus dem Blickfeld verschwinden.
In der gewundenen, urchigen Innenstadt von Appenzell tauche ich ab und gebe mich dem Strom an verlockenden Ablenkungen hin, die munter vom eigentlichen Ziel ablenken. Eigentlich ist das Restaurant ja gleich um die Ecke beim Bärenbrunnen, aber nur äusserst disziplinierte Naturen können der Gasse ohne Abstecher in die zahlreichen Läden folgen. Den Kantonshauptort zu verlassen, ohne etwas in Rahel Mansers «Chäslade» eingekauft zu haben? Absolut undenkbar. Mit vollen Taschen und von zahlreichen Umwegen wund gelaufenen Füssen schleppe ich mich gerade noch pünktlich durch die Tür des Restaurants.
Drinnen wird man vom emsigen Hochbetrieb und behaglich warmer, mit dezent rauchigen Aromen versetzter Luft empfangen. Dafür verantwortlich ist die Feuerstelle mit den züngelnden Flammen, die ich von meinem Platz an der Fensterbank aus erspähen kann. Überhaupt ist in den ersten Momenten nach dem Eintreten einfach nur Schauen angesagt, denn der Einrichtungsstil verbindet durch dunkle Farben und geradlinige Einrichtung die schnörkellose Eleganz eines Steakhouse mit Appenzeller Bodenständigkeit, welche die Steinwand und bequeme Sitzbank miteinbringen. Alle Plätze sind voll, die garstigen Temperaturen haben ordentlich Volk in die Gaststube getrieben.
Die überaus freundliche Bedienung lässt mich bei der Übergabe der Speisekarte wissen, dass als Tagessuppe eine «Beerechässuppe» serviert wird. Diese ist sofort gesetzt, auch wenn sich später herausstellt, dass statt Beeren saisonal passendere Birnen drin sind. Trotz familiärer Verbindungen in die Region ist mein Verständnis des Dialekts klar verbesserungswürdig. Mit Feuer und Holzkohle verfeinerte Kreationen beherrschen das Menü und machen es einmal mehr richtig schwer, auf dem üblichen Cordon bleu zu bestehen. Es ist in einer Grillvariante vom Schwein mit Mostbröckli und Appenzellerkäse erhältlich, was mich in eine kleine Wertungskrise stürzt. Wie soll ohne Panade eine Punktezahl für die Hülle vergeben werden? Nach reiflicher Überlegung entscheide ich mich dafür, einfach die Aussenseite des Fleisches in Sachen Würze und Textur zu bewerten. Denn auch bei einer Fleischtasche vom Rost möchte der Gaumen angenehm begrüsst werden. Als Begleitung können zwei Beilagen gewählt werden, die fein geschnittenen Pommes Frites und grilliertes Gemüse entscheiden den Wettstreit für sich.
Beim Servieren der Suppe ist klar, dass hier in Sachen Präsentation keine halben Sachen gemacht werden. Der kleine Topf mit bunter Kräuterhaube wird zusammen mit Löffel und Stoffserviette auf einem Holzbrettchen gereicht. Geschmacklich hat sie ebenfalls einiges auf dem Kasten, aber anders als erwartet: Statt rustikal herumzustapfen, umspielt das würzige Käsearoma auf raffinierte und feinsinnige Weise den rahmig-samtenen Grundcharakter der Suppe. Erst im Abgang macht es sich auf der Zunge deutlich bemerkbar. Die beigefügten Kräuter lockern die milde Stimmung mit ihrer grünen Würze zusätzlich auf. Nach diesem starken Einstieg liegt die Messlatte für den Hauptgang hoch.
Als Erstes treffen die Saucen ein: Chili, Chimichurri und Kräuterbutter warten in kurzen Gläsern geduldig auf ihren Einsatz. Der grosse weisse Teller mit hausgemachtem Ketchup und Grill Cordon bleu folgt sogleich, begleitet von einer weiteren Holzplatte für die Beilagen. Auf dem Tisch ist nun nicht mehr viel Platz und ich weiss gar nicht, wo anfangen. Ausnahmsweise vielleicht mit den Pommes Frites? Grossartige Entscheidung, die kleinen Kunstwerke bestehen den Knuspertest mit Höchstnote und hüllen sich in eine Würzmischung zum Niederknien. Nur mit grosser Willensanstrengung können die Hände von den gelben Stäbchen weg und hin zu Messer und Gabel geführt werden. Beim ersten Stück kann ich einen glücklichen Seufzer nicht unterdrücken, mein Gaumen wähnt sich im Fleischhimmel. Von der behutsam mit aromatischen Grillkräutern versehenen Aussenhülle über das mit rauchigen Aromen angereicherte Innere und hin zur durchgängig saftigen sowie zarten Textur ist diese Portion Fleisch einfach saugut. Die Begleitung aus seidigen Mostbröckli und cremig-mildem Appenzeller setzt einen sanften Schlusspunkt hinter jeden Bissen. Der Gesamtgeschmack könnte noch eine zusätzliche Prise rezenten Charakter vertragen, da sind wir aber schon auf dem Terrain der Rosenpickerei.
Üblicherweise kommen an meine Cordon bleus nur Panade und Bratbutter, auf Saucen wird dankend verzichtet. Vor der beeindruckenden Batterie auf meinem Tisch gebe ich aber kleinmütig bei und verwende die letzten Stücke meines Grilljuwels für eine Verköstigung. Die feurig orangene Chilivariante macht zuerst einen blassen Eindruck, nach einigen Sekunden blüht im Gaumen dann ein ordentlicher Hitzepilz auf. Da kommt die dunkelgrüne Chimichurri zur Abkühlung gerade recht, mit erquickend sauren Noten wird der Temperaturhaushalt wieder ins Lot gebracht. Eher bodenständig gibt sich die schaumige Kräuterbutter, welche ihre rahmige Herkunft nicht verleugnet, sondern stolz betont. Das prächtig rote Ketchup weckt mit seinem unerwartet salzig-sauren Profil Erinnerungen an die nordafrikanische Gewürzpaste Harissa und passt ausgezeichnet zu den Pommes Frites.
Mittlerweile steht ein veritables Schlachtfeld aus leeren Tellern, Gläsern und Holzbrettchen vor mir, aber im letzten Topf verbirgt sich noch ein kleiner Schatz: Das mit reichlich Öl versehene Grillgemüse bringt mit seinen dunklen Kohlearomen, beigefügten Zwiebeln und Chilis einen Hauch von Sommer in die Mundhöhle.
Mein Magen schwenkt eifrig die weisse Fahne aber bis hierhin hat alles so gut gemundet, dass ein Dessert Pflicht ist. Der Eiskaffee mit Rahmlikör führt den Siegeszug der Küche souverän zum Abschluss, eine Welle aus Lebkuchennoten und bitter-süssem Koffeinglace geleitet mich sanft aus dem Restaurant hinaus und setzt mich leicht schwindlig in der Hauptgasse wieder ab. Um Bodenhaftung zurückzuerlangen, stöbere ich vor der Abreise noch im Bücherladen Appenzell, meiner aktuellen Lieblingsbuchhandlung. Das mit kundiger Hand ausgewählte Sortiment hält einige Entdeckungen bereit, die zum Glück genau noch in die Tasche passen.
Hier wird mit Feuer gezaubert, auch das Cordon bleu profitiert deutlich von der Glutmagie. Alle Fleischtiger sollten sich rasch einen Besuch in Appenzell im Kalender eintragen, wer grossen Wert auf ausgefallene Füllungen legt sollte den hervorragend zubereiteten Speisen und Beilagen trotzdem eine Chance geben.
Bewertung
Schweins Cordon bleu vom Holzgrill
8/10, «Hervorragend»
Detailbewertung
Kategorie | Punkte |
---|---|
Panade | 8/10 |
Fleisch | 9/10 |
Füllung | 7/10 |
Gesamtgeschmack | 8/10 |
Speisekarte | 5/10 |
Hinweise zum Bewertungsschema: Bewertungsschema – Cordonblog
Infos zum Restaurant
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